Missbrauchsfälle: Kirche begrüßt Äußerungen von Oberstaatsanwalt
Hannover, Osnabrück (epd).
In der Diskussion um Missbrauchsfälle in der Kirche hat die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers Äußerungen des Osnabrücker Oberstaatsanwaltes Alexander Retemeyer begrüßt. Darin zeige sich eine neue Herangehensweise, sagte die Präsidentin des Landeskirchenamtes Hannover, Stephanie Springer, am Freitag in Hannover.
Retemeyer hatte dem Evangelischen Pressedienst (epd) gesagt, seine Behörde bearbeite jeden Fall, den ihr die Kirchen auf den Tisch legten - unabhängig davon, wie lange er zurückliege und ob er offenkundig verjährt sei. Wenn der Täter noch lebe, könnten sich weitere Verdachtsmomente ergeben für Taten, die noch nicht verjährt seien. „Unsere Spezialabteilung für sexuellen Missbrauch in Institutionen verfolgt alle Fälle mit großem Aufwand, selbst dann, wenn der Täter nicht mehr lebt“, sagte Retemeyer. Es sei aber letztlich die Entscheidung der Kirchen, wie sie verfahren.
Der Leiter der Rechtsabteilung im Landeskirchenamt, Oberlandeskirchenrat Rainer Mainusch, sagte: „Ich habe mir ein solches Vorgehen schon immer gewünscht. Doch bislang lauteten die Signale in vergleichbaren Fällen anders.“ Die Landeskirche wolle jetzt versuchen, mit den niedersächsischen Staatsanwaltschaften dasselbe Verfahren abzustimmen. „Den Staatsanwaltschaften stehen noch andere Ermittlungsmöglichkeiten als uns zur Verfügung.“
Laut Springer war die Landeskirche bisher immer pauschal von einer 20-jährigen Verjährungsfrist ausgegangen und habe damit alle Straftatbestände erfassen können, bei denen es nicht um eine Todesfolge gehe. Dabei zähle die Kirche bislang die maximale Ruhensregelung des Paragraphen 78b im Strafgesetzbuch hinzu. „Alle unsere bisherigen Kontakte zu den Staatsanwaltschaften haben diese Handhabung bislang bestätigt.“
Die Landeskirche und eine Betroffene hatten kürzlich einen Missbrauchsfall in Oesede bei Osnabrück in den 1970er Jahren bekanntgemacht. Dabei warf die Betroffene der Kirche Vertuschung beim späteren Umgang mit ihrem Fall vor. Sie beklagte, dass 2010, als sie sich das erste Mal an die Landeskirche gewandt habe, die Kirchengemeinde nicht unterrichtet worden sei, obwohl der Täter noch gelebt habe. Dieser war 2018 gestorben.
Oberlandeskirchenrat Mainusch hatte das damit begründet, dass der Täter - ein angehender Diakon - bereits aus dem kirchlichen Dienst entlassen und die Taten strafrechtlich verjährt gewesen seien. Auch der Staatsanwaltschaft war der Fall damals nicht gemeldet worden.
Die Leiterin der Fachstelle Sexualisierte Gewalt in der Landeskirche, Karoline Läger-Reinbold, betonte unterdessen, die sehe noch weiteren Verbesserungsbedarf: „Das ist für uns ein Lernprozess, der noch lange nicht abgeschlossen ist.“ Als Beispiel nannte sie den früheren Umgang mit den Betroffenen selbst. Anstatt ihnen empathisch zu begegnen, ihnen Glauben zu schenken und eine unterstützende Haltung einzunehmen, sei zum Teil versucht worden, ihnen eine Mitschuld für die Taten zu geben.
Läger-Reinbold sagte, in der Vergangenheit seien große Fehler gemacht worden. „Und auch wenn wir heute die Null-Toleranz-Linie klar vertreten und praktizieren, passieren auch heute leider noch Fehler in der Kommunikation, an denen wir arbeiten müssen.“ Ein aktives Vertuschen habe es aus ihrer Sicht aber an den wenigsten Stellen gegeben. Natürlich müssten leitende Theologinnen und Theologen ihr Team auch vor falschen Vorwürfen schützen. Dennoch sei es wichtig, Betroffenen und ihren Vorwürfen zunächst einmal Glauben zu schenken. Es dürfe nicht dazu kommen, „dass im Zweifelsfall ein Täter geschützt wird“.