Sexualisierte Gewalt im Kirchenkreis Celle
Der jüngste Bericht der Celleschen Zeitung (Ausgabe vom 04. Februar 2022) über einen Fall von sexualisierter Gewalt im Kirchenkreis Celle hat viele Fragen aufgeworfen. In dem Bericht hatte eine Frau beschrieben, wie sie als Minderjährige Ziel sexueller Gewalt durch einen heutigen Pastor geworden war. Die Staatsanwaltschaft hatte ihre Ermittlungen einstellen müssen, weil der Missbrauch bei Offenlegung der Tat verjährt war.
Der Beschuldigte ist heute weiterhin im Dienst der Landeskirche Hannovers tätig, allerdings nicht mehr im Kirchenkreis Celle. Zurzeit der ihm vorgeworfenen Gewalttaten stand er noch nicht in einem Dienstverhältnis zur Landeskirche, auch wenn er an seiner damaligen Wirkungsstätte, der Lobetalarbeit in Celle, wahrnehmbar als Geistlicher agierte. Damit war ein Disziplinarverfahren gegen ihn nicht möglich. Eine Rücknahme seiner Ernennung zum Pastor oder die Versetzung in eine andere Aufgabe, in der er nicht mit Kindern und Jugendlichen zu tun hat, scheiterte daran, dass die Landeskirche ihm nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachweisen konnte, dass die Betroffene bei Beginn der von ihr geschilderten Taten noch minderjährig war.
Dazu der Vizepräsident des Landeskirchenamtes, Dr. Rainer Mainusch: „Anders als in Verfahren über eine Anerkennungsleistung, die die Betroffene erhalten hat, muss das Vorliegen sexualisierter Gewalt in dienstrechtlichen Verfahren in vollem Umfang nachgewiesen werden. Nur dann ist ein dienstrechtliches Handeln gegenüber einer beschuldigten Person möglich. Unsere Landeskirche erkennt in ihrer Verfassung einen freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat als Voraussetzung für ein friedliches und gerechtes Zusammenleben der Menschen an. Daher muss sie auch in ihrem eigenen Dienstrecht dieselben rechtsstaatlichen Maßstäbe anwenden wie im staatlichen Dienst- oder Strafrecht.“
Die Landeskirche Hannovers bittet alle von sexualisierter Gewalt Betroffenen, die ihnen gegenüber verübten Taten und Täterinnen oder Täter direkt bei der Polizei anzuzeigen, auch wenn diese Taten schon viele Jahre zurück liegen. Um Schutzkonzepte für Gemeinden und Einrichtungen im Interesse Betroffener verbessern und eigene dienstrechtliche Verfahren gegen Beschuldigte einleiten zu können, ist die Landeskirche auf alle Informationen angewiesen, die auf derartiges Unrecht hinweisen. Diese Bitte gilt auch für all jene, die Zeuginnen oder Zeugen sexueller Übergriffe geworden sind oder Verdachtsmomente wahrgenommen haben.
Nach dem Bericht der Celleschen Zeitung erlebt die Superintendentin des Kirchenkreises, Dr. Andrea Burgk-Lempart, große Verunsicherung in den Gemeinden. „Ich kann die vielen Fragen, die sich beim Lesen des Berichts stellen, sehr gut verstehen. Und ich teile das Entsetzen und die Fassungslosigkeit, dass offenbar aus unseren Reihen heraus solche Gewalt möglich ist“, sagt die Superintendentin. „Als Kirchenkreis erarbeiten wir schon seit einiger Zeit mit der Fachstelle Sexualisierte Gewalt Schutzkonzepte für unsere Gemeinden und Einrichtungen, damit Grenzverletzungen und Übergriffe nicht mehr passieren können oder, wenn doch, dies entdeckt und sofort geahndet wird. Dazu wird es in den kommenden Monaten u.a. im Mai eine Kirchenkreiskonferenz für unsere Mitarbeitenden geben. Sollte es in unserem Kirchenkreis weitere von sexualisierter Gewalt Betroffene geben, ermutige ich sie, sich an externe Stellen oder die Fachstelle Sexualisierte Gewalt der Landeskirche zu wenden, damit sie die Unterstützung bekommen, die sie benötigen.“
Dr. Stephan Schaede, Regionalbischof des Sprengels Lüneburg, begrüßt die Präventionsarbeit ausdrücklich. „Wir werden in allen Kirchengemeinden und Einrichtungen Schutzkonzepte erarbeiten und die Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen verpflichtend machen. Ziel ist es, unsere Mitarbeitenden für die Belange von Betroffenen zu sensibilisieren und die Wahrnehmung für mögliche Übergriffe zu schärfen. Eine Mentalität des Wegsehens darf es nicht geben, und wo wir sie dennoch wahrnehmen müssen, werden wir sie nicht dulden. Hier gilt für uns als Kirche eine Null-Toleranz-Linie gegenüber sexualisierter Gewalt, die in den Grundsätzen der Landeskirche festgeschrieben ist. Wir müssen alles dafür tun, dass diese in der Praxis konsequent umgesetzt wird. Kirche muss für Menschen ein Ort sein, an dem sie vor sexualisierter Gewalt sicher sind. Das war in der Vergangenheit nicht so. Dadurch haben wir als Kirche viel Vertrauen verloren und uns schuldig gemacht. Dafür empfinde ich tiefe Scham. Nur durch rückhaltlose Aufklärung unter Einbeziehung von externen Fachleuten und Betroffenen können wir wieder Vertrauen aufbauen. Und dieses Vertrauen ist für unseren kirchlichen Auftrag grundlegend.“
Betroffene Sexualisierter Gewalt sollten den Mut fassen, Straftaten anzuzeigen und sich dafür an die Polizei wenden. Die Fachstelle Sexualisierte Gewalt der Landeskirche Hannovers vermittelt zudem Hilfe und Beratung, auf Wunsch auch außerhalb kirchlicher Zusammenhänge. Sie unterstützt bei Anträgen auf Anerkennungsleistungen durch die unabhängige Anerkennungskommission der evangelischen Kirchen in Niedersachsen und Bremen. Alle dafür notwendigen Informationen stehen unter www.praevention.landeskirche-hannovers.de im Internet.
Kontaktstellen für Betroffene:
Brennessel e.V.
Berufsgruppe gegen sexuelle Gewalt an Kindern
Postfach 35 52
29235 Celle
E-Mail: info@brennessel.org
Sprechstunde: dienstags 17 – 19.00 Uhr
Tel.: 05141 / 740 560
Internetseite: https://brennessel.org/
Hilfe-Portal Sexueller Missbrauch
des Unabhängigen Beauftragten
für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM)
Internetseite: https://www.hilfe-portal-missbrauch.de/hilfe-finden
Fachstelle Sexualisierte Gewalt
der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers
Pastorin Dr. Karoline Läger-Reinbold